Der Bau der Synagoge
Bereits der Schutzbrief von 1595 räumte den Juden in Haigerloch die ungestörte Ausübung der Religion zu Hause und in der "Judenschule" ein, wobei es sich um einen Betsaal in einem unbekannten Haus in der Oberstadt gehandelt haben dürfte. Nachdem den Juden 1780 das Haag als Wohngebiet zugewiesen worden war, regte sich schon bald der Wunsch nach Errichtung einer Synagoge. Gegen Zahlung von 100 Gulden oder einem jährlichen Grundzins von drei Gulden stimmte der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen im Dezember 1782 dem Baugesuch zu. Da die Baukosten von den Haigerlocher Juden nicht aufzubringen waren, erlaubte ihnen ein fürstlicher Sammlungsbrief, bei auswärtigen Juden Gelder für die Kosten zu sammeln. Am 30.5. 1783 konnte die Synagoge eingeweiht werden.
Erweiterung von 1839/40
Schon bald erwies sich die Synagoge als zu klein, besonders nachdem seit 1837 auch die Frauen am Sabbat zur Teilnahme an Predigt und katechetischem Unterricht in der Synagoge verpflichtet waren. Nach längeren Auseinandersetzungen hierüber innerhalb der Jüdischen Gemeinde und mit der fürstlichen Verwaltung, vor allem wegen der zu erwartenden Kosten, kam es 1839/1840 zum Umbau und zur Erweiterung der Synagoge. Sie wurde hinten verlängert und rechts und links des Langhauses wurden neue Emporen eingezogen. Laut Abrechnung vom 20. November 1840 beliefen sich die Gesamtkosten auf 1758 Gulden 47 Kreuzer, zu denen der Fürst im Juni 1839 einen Zuschuß von 150 Gulden bewilligt hatte. Die erweiterte Synagoge bot schließlich 294 Personen Platz.
Renovation der Synagoge von 1930
1930 ließ die Jüdische Gemeinde die Synagoge gründlich renovieren: Umfangreiche Maurer-, Gipser-, Bildhauer-, Maler- und Schreinerarbeiten wurden durchgeführt, neue Kunststeintreppen verlegt und die gesamte Lichtanlage erneuert. In einem festlichen Akt in Anwesenheit zahlreicher Vertreter des Staates, der israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs und der christlichen Kirchen erfolgte am 21. 9.1930 die Wiedereinweihung. Besondere Anerkennung fand die Anpassung des Synagogeninneren an die neuzeitliche Auffassung von der Gestaltung sakraler Räume. Als besonders eindrucksvoll empfand man die indirekte Beleuchtung der Kuppel, die Abstimmung der Farben und den auffallenden Kronleuchter in Form des Davidsterns. Man sah darin eine glückliche Harmonie von Kult und Raum.
Schändung der Synagoge in der Pogromnacht 9./10. November 1938
Nur acht Jahre nach der Renovation und Wiedereinweihung wurde die Synagoge in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. 11.1938 geschändet. Ein 40- bis 50köpfiger SA-Trupp aus dem benachbarten Sulz drang in den ersten Morgenstunden des 10. November in das jüdische Wohnviertel Haag ein. An einer Reihe von Gebäuden richtete der Trupp erhebliche Sachschäden an und es kam zu willkürlichen Verhaftungen jüdischer Männer.
Die Synagoge wurde zwar nicht in Brand gesteckt, aber im Inneren zerstört und für kultische Zwecke unbrauchbar gemacht: Die Fenster wurden eingeworfen, die Türen eingedrückt, die Bänke und rituellen Einrichtungen herausgerissen und auf den Hof geworfen. Ob und wie einzelne Gegenstände den barbarischen Zugriff überstanden, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Lediglich von einer Thorarolle ist bekannt, dass sie von einer christlichen Familie bis nach dem Weltkrieg versteckt wurde. Anschließend wurde sie von einem amerikanischen Soldaten abgeholt und in die USA gebracht. Die Jüdische Gemeinde bestätigte jedoch am 9. und 30.1.1939 die Rückgabe von insgesamt neun Kisten, zwei Säcken sowie einem Karton "Ritualien" und "Synagogenoutensilien" [sic!]. Bereits am 11. 11.1938 verständigte der Hechinger Landrat die Stadtverwaltung, dass nach einem geheimen Funkspruch des "Chefs der Ordnungspolizei, Sonderstab" in Berlin die Eigentümer zur Beseitigung der Trümmer von Synagogen verpflichtet sind. Ein Wiederaufbau zerstörter Synagogen war nach einer Anordnung des "Chefs der Sicherheitspolizei" vom 12. 11.1938 nicht zulässig.
Strafrechtliche Ahndung der Schändung nach dem Krieg
23 Täter wurden im Dezember 1947 wegen der Schändung der Synagoge vor dem Landgericht Hechingen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. In einem Fall erkannte das Gericht auf Strafe von einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus. 17 Täter wurden zu Gefängnisstrafen zwischen drei und zehn Monaten verurteilt. Fünf Angeklagte sprach das Gericht frei. Im Revisionsverfahren bestätigte das Oberlandesgericht Tübingen im wesentlichen diese Urteile.
Verkauf der Synagoge 1939 und geplante Nutzung als Turnhalle
Schon bald nach der Reichspogromnacht 1938 kamen Überlegungen auf, das nicht mehr als Synagoge genutzte Gebäude als Turnhalle zu verwenden. Der Bürgermeister berichtet am 3. 4.1939 dem Landrat über entsprechende Absichten, und dieser teilt am 11. 4.1939 mit: "Die künftige Verwendung des Synagogengebäudes als Turnhalle erscheint wünschenswert. Sie wollen deshalb Verhandlungen zwecks Erwerbs des Gebäudes in die Wege leiten und mir demnächst über das Ergebnis berichten."
Ende April teilte die Stadt der Jüdische Gemeinde mit, dass die Stadt beabsichtigte, die Synagoge in "eigene Verwaltung zu übernehmen und für eine Benutzung zu gemeindlichen Zwecken umzubauen". Danach kam es zu zügigen Verhandlungen. Am 18.9.1939 wurde der notarielle Kaufvertrag geschlossen mit der Übertragung des Grundstückeigentums (Auflassung). Der Kaufpreis für die Synagoge, die danebenliegende Mikwe und die Grundstücke von 55 Ar betrug annähernd ein Drittel des Einheitswertes. Die Gemeinde verpflichtete sich, "nach erfolgter Auswanderung der jüdischen Einwohner den Juden-Friedhof in Schutz und Instandhaltung zu übernehmen." Die Juden sollten bei der Brennholzzuteilung entsprechend den nichtjüdischen Einwohnern berücksichtigt werden. Beide Seiten waren sich einig, dass der Kaufpreis und die zusätzlichen vereinbarten Leistungen der Stadt wertmäßig mindestens den Einheitswert erreichten. Am 28.2.1940 überwies die Stadt den vereinbarten Kaufpreis an die "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" in Berlin.
Ein Kostenvoranschlag vom 2.9.1940 wies Umbaukosten von 9000 RM aus. Diese Aufstellung listet detailliert auf, welche baulichen Veränderungen die Synagoge noch während des Krieges erfuhr: Verlegung eines neuen Holzfußbodens; Entfernung der Emporen an den Längswänden und an der Stirnwand mit Abriss der tragenden Säulen; Zumauern der Thoranische; Entfernung der hebräischen Inschriften aus den Sandsteinen; Umänderung einer Tür in ein Fenster, Zumauern der Tür; Neuanlage eines Lehrer- und Geräteraumes; Abbruch der Treppenanlage; Anlage eines Abortzwischenbaus mit Grube; Einziehen einer neuen Balkendecke mit oberem Fußboden und neuer Treppe; Neuanfertigung einer Eingangstür; Ersetzung und Neuverglasung von sechs Fenstern an den Längswänden und zwei Fenstern an der Stirnseite; Einbau von Fensteroberlichtflügeln zum Kippen; Neuinstallation der elektrischen Leitungen und neuer Beleuchtungskörper.
Da die Stadt den Umbau finanziell nicht allein bewältigen konnte, beantragte sie beim Regierungspräsidenten in Sigmaringen eine besondere Beihilfe. Als Gründe für die Finanzknappheit benannte sie neben anderem erstmalig auch die Ausfälle an Gewerbesteuer "infolge Schließung der jüdischen Geschäfte" an. Ende Januar 1942 waren die Rohbauarbeiten durchgeführt, die weiteren Arbeiten ruhten aber wegen Materialmangels. Im Juni 1942 wurde die Weiterführung des Umbaus bis Kriegsende zurückgestellt, da kriegswichtigere Rüstungsbauten Vorrang besaßen. Im Januar 1944 teilte der Bürgermeister dem "NS-Reichsbund für Leibesübungen" mit: "[...] Die Umbauarbeiten mussten infolge des Krieges eingestellt werden. DieTurnhalle ist nicht fertiggestellt und ist in ihrem heutigen Zustand noch nicht zu gebrauchen. [...] In der Turnhalle sind z.Zt. Maschinen des verlagerten Rüstungsbetriebes Deutsche Lufthansa A.G. im Auftrage des Landratsamtes Hechingen abgestellt." Seit April 1944 war die ehemalige Synagoge an die Lufthansa AG vermietet.
Die ehemalige Synagoge nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Krieg strengte die Israelitische Kultusvereinigung in Stuttgart 1949 ein Restitutionsverfahren gegen die Stadt Haigerloch an, welches 1950 mit einem gerichtlichen Vergleich endete: Die Stadt anerkannte die Nichtigkeit des Kaufvertrages von 1939 und verpflichtete sich zur Herausgabe der Grundstücke an die Israelitische Kultusvereinigung. Im Gegenzug zahlte diese einen Betrag von 1000 Reichsmark für „Unterhaltungskosten des Gebäudes”. Damit sollten alle Ansprüche erledigt sein und die Stadt von keiner anderen Seite mehr wegen des Kaufs der Synagoge in Anspruch genommen werden können.
Da nach dem Zweiten Weltkrieg keine Jüdische Gemeinde mehr in Haigerloch entstand, verkaufte die Israelitische Kultusvereinigung Württembergs in Stuttgart am 19.12.1951 die ehemalige Synagoge und weitere Grundstücke an einen privaten Käufer. In der Nachkriegszeit verlor die ehemalige Synagoge durch Umbauarbeiten ihr ursprüngliches Aussehen völlig, so dass sie als Synagoge nahezu nicht mehr zu erkennen war. Das im April 1945 durch Granatbeschuss schwer beschädigte Dach wurde durch ein Satteldach ersetzt. Die Rundbogenfenster wurden zugemauert. Auch das Innere des Gebäudes wurde vollständig umgestaltet. Die ehemalige Synagoge wurde danach bis in die 1960er Jahre als Filmtheater genutzt. Von 1968 bis 1981 wurde im Gebäude ein Lebensmittelmarkt eingerichtet. Von 1981 bis 1999 diente die ehemalige Synagoge als Lagerhalle eines Textilbetriebes.
Der 1988 anlässlich der 50. Wiederkehr der Reichspogromnacht entstandene Gesprächskreis Ehemalige Synagoge Haigerloch bemühte sich seit Anfang seines Bestehens darum, diesen unwürdigen Zustand zu beenden und die frühere Synagoge für eine Verwendung bereitzustellen, die ihrer Bedeutung als ehemaligem Gotteshaus würdig ist. Nach langen Verhandlungen mit dem privaten Eigentümer konnte die Stadt Haigerloch die einstige Synagoge im Dezember 1999 kaufen. Der Erwerb geschah in enger Zusammenarbeit mit dem Gesprächskreis Ehemalige Synagoge Haigerloch, der in ganz erheblichem Umfang Sponsorengelder beschaffen konnte. Seit 2000 werden die erforderlichen baulichen Veränderungen für die geplante Verwendung der ehemaligen Synagoge durchgeführt. Am 65. Jahrestag der Schändung der Synagoge soll das Gebäude als Ausstellungsstätte für die Geschichte der einst in Hohenzollern lebenden Juden und zugleich als Haus der Begegnung und des Dialoges wieder geöffnet werden.