Der alte jüdische Friedhof

Rund drei Kilometer von Haigerloch entfernt liegt im Wald bei Weildorf der alte jüdische Friedhof. Gustav Spier, der letzte jüdische Lehrer von Haigerloch, schrieb in einem Zeitungsbeitrag 1929, "[...] der älteste erhaltene Grabstein auf dem "Guten Ort" trägt die Jahreszahl 5327 der jüdischen oder 1567 der bürgerlichen Zeitrechnung." Die erste schriftliche Quelle ist der Eintrag in der Renteirechnung des Jahres 1587: "Vom Schmay Juden Zinß ausser Ihrem Kirchhoff empfangen". Nachdem seit Beginn des 19. Jahrhunderts ein neuer Friedhof im Haag in Haigerloch eingerichtet worden war, kam es nur noch auf ausdrücklichen Wunsch vereinzelt zu Bestattungen auf dem alten Friedhof. Die letzte Beisetzung erfolgte im Jahr 1884.

Am 27. 5.1942 war die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland als Rechtsnachfolgerin der Jüdischen Gemeinde Haigerloch Eigentümerin des Friedhofs geworden. Nach deren Auflösung wurde ihr Vermögen, also auch der Friedhof durch das Deutsche Reich beschlagnahmt. Am 27.3.1945 [sic!] verkaufte das "Großdeutsche Reich (Reichsfinanzverwaltung)" den Friedhof an die Gemeinde Weildorf. Der Kaufpreis betrug 50 Reichsmark. Nach einem Restitutionsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Eigentum am alten jüdischen Friedhof unentgeltlich auf die Israelitische
Kultusvereinigung Württemberg und Hohenzollern in Stuttgart übertragen.
1979 konnten noch 15 Grabsteine und zwei größere Bruchstücke gefunden werden. Im Waldboden fanden sich zahlreiche Fundamente für Grabsteine.

Der jüdische Friedhof im Haag

Wegen der abseitigen Lage des alten Friedhofs bei Weildorf bemühte sich die Jüdische Gemeinde schon im ausgehenden 18. Jahrhundert um einen neuen Friedhof bei ihrem Wohngebiet im Haag. Im Jahre 1802 konnte sie das abfallende, landwirtschaftlich nicht zu nutzende Gelände unterhalb des Haags als Platz für den neuen Friedhof kaufen. Am 6. Januar 1803 erfolgte die erste Bestattung "im neuen Begräbniß". Die letzten Beerdigungen vor der Deportation fanden im Jahre 1942 statt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch zwei Beisetzungen auf dem Jüdischen Friedhof. Bereits im September 1945 wurde ein Haigerlocher Jude, der aus dem KZ nach Haigerloch zurückgekehrt war, hier beigesetzt. 1977 wurde auf seinen ausdrücklichen Wunsch ein 1938 emigrierter und 1971 nach Deutschland zurückgekehrter Jude auf dem Heimatfriedhof beerdigt.

Insgesamt sind auf dem Haagfriedhof 660 Gräber. Viele der Grabsteine aus Sandstein sind inzwischen durch Witterungseinflüsse stark in Mitleidenschaft gezogen. Die älteren Grabsteine weisen lediglich eine hebräische Inschrift auf. Wohl im Zusammenhang mit der zunehmenden Assimilierung der Juden wurden die Inschriften später zweisprachig, in Deutsch und Hebräisch gehalten. Schließlich wurde bei vielen Grabsteinen nur noch ein deutscher Text angebracht. Auffallend ist der Reichtum an Symbolen, mit denen die Grabsteine verziert sind. Wegen des häufigen Vorkommens des Familiennamens Levi in Haigerloch findet man naturgemäß auch häufig den Wasserkrug als Zeichen für einen Abkömmling aus dem Stamme Levi. Die Leviten unterstützten die Priester beim Opferdienst und waren vor allem für die rituelle Reinigung zuständig. Auch das aufgeschlagene Buch, der Davidstern, die geknickte Blume oder der Palmzweig sind oft zu sehen. Eher selten sind aber das Messer, als Zeichen für das Amt eines Beschneiders, oder das Widderhorn als Hinweis darauf, dass der Verstorbene am Neujahrstag oder Versöhnungstag den Schofar in der Synagoge blasen durfte.

Nach der Zwangseingliederung der Jüdischen Gemeinde Haigerloch in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland 1942 bot diese weisungsgemäß der Stadt Haigerloch den Haagfriedhof zum Kauf an und am 16.3.1943 kaufte die Stadt den Friedhof.

Ein Restitutionsverfahren der Israelitischen Kultusvereinigung in Württemberg endete 1950 mit einem Vergleich. Die Stadt gab das Eigentum an die Israelitische Kultusvereinigung zurück. Heute werden beide jüdischen Friedhöfe von der Stadt Haigerloch regelmäßig gepflegt und instand gehalten. Die Jüdische Gemeinde Haigerloch besteht seit 60 Jahren nicht mehr. Bei vielen Zeitgenossen schon fast in Vergessenheit geraten, ist sie so selbst ein Beispiel der Vergänglichkeit geworden. Möge der Vers 12,7 aus Kohelet, der über dem Eingang zum Haagfriedhof steht, dem Gläubigen – Jude oder Nichtjude – von einer anderen Unvergänglichkeit künden: "Der Staub muss wieder zu der Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat."